Aus Schriften und Gesprächen   

Wilfried Kirschl 1967 auf Ios (Foto: Nachlass)
Wilfried Kirschl 1967 auf Ios (Foto: Nachlass)

"Wenn der Mensch eine Zukunft hat, hat die Malerei auch eine. Das Tafelbild hat auch viel mit dem menschlichen Maß zu tun, mit seiner Figur, seinen Proportionen, seiner Wahrnehmung. Der Mensch braucht diesen Spiegel, in welcher Form auch immer."         

    Wilfried Kirschl im Gespräch mit Edith Schlocker, 2000. 

Herbert Boeckl im Kreis seiner Studierenden, 30er Jahre (Foto: verm. Josef Orgler, Nachlass WK)
Herbert Boeckl im Kreis seiner Studierenden, 30er Jahre (Foto: verm. Josef Orgler, Nachlass WK)

Über Herbert Boeckl

 

 

"Die Ausstrahlung des Mannes war ungewöhnlich. Betrat er einen Raum, in dem es grade noch drunter und drüber gegangen war, trat unversehens Stille ein. Er selbst sprach leise, mit kärntnerischer Färbung: Die Kunst is a Weib, de miassn’s schoaf angehn, sunst bleim’s ewig a Pantoflhöld. So sprach ein großer Frauenverehrer. Was er jedem klarmachte, das war der Primat der Zeichnung. Giacometti mit seinem Wort: Wer die Zeichnung hat, kann alles machen, sah das ähnlich. Boeckl hätte an diesem Satz nur gestört, dass da gesagt wurde, wenn einer die Zeichnung habe. Für ihn, der mitunter ächzend und stöhnend Löcher ins Papier radierte, war Zeichnung etwas, das man sich jedesmal neu erobern musste, und das man nie hat.  Dass auch er sich plagen musste und nie zufrieden war, war für uns nicht die geringste Lehre."

Josef "Sepp" Orgler, 1930er Jahre (Foto: Nachlass)
Josef "Sepp" Orgler, 1930er Jahre (Foto: Nachlass)

Über Josef Orgler*

 

"Rückblickend muss ich sagen, dass Orgler über meine Lehrjahre hinaus die wichtigste lenkende Kraft in meinem Leben war. Als er am 2. März 1943 in Russland fiel, war ich noch nicht dreizehn Jahre alt. Mit vierzehn war ich finster entschlossen, Maler oder Bildhauer zu werden."

 

 

 

*der Maler und Bildschnitzer Josef „Sepp“ Orgler (1911-1943), der Bruder der Mutter Wilfried Kirschls

Wilfried Kirschl: "Abend in Arles", Skizzenbuchblatt 1952.
Wilfried Kirschl: "Abend in Arles", Skizzenbuchblatt 1952.

Über Vincent van Gogh

 

 

"Dass ein Maler nicht von ungefähr nach Arles geht, bedarf ja keines besonderen Hinweises. Während ich zeichnend die Stadt Arles und ihre Umgebung durchstreifte, stieß ich immer wieder unversehens auf Teilmotive oder Motivteile aus Bildern Van Goghs und wunderte mich, wo der Rest blieb, bis ich ihn, irgendwo abseits und unscheinbar, auch entdeckte. Wie unter einem mächtigen Sog waren die in der realen Landschaft weit auseinanderliegenden »Bausteine« in seinen Bildern zusammengerückt, aus der Ferne herangeholt und in einen neuen Zusammenhang eingeschmolzen. Dabei waren die Details oft mit einer überraschenden Treue wiedergegeben, wie überhaupt der Realitätsgehalt seiner Malerei viel stärker ist, als ich gedacht hatte. Selbst die abenteuerlichen Wolkengebilde in seinen Landschaften aus Saint-Rémy, die ich für das Ergebnis expressionistischer Exaltation gehalten hatte, sollte ich bald mit eigenen Augen sehen."

Stillebenecke in der Académie Lhote, Paris 1957 (Foto: Nachlass WK) WK)
Stillebenecke in der Académie Lhote, Paris 1957 (Foto: Nachlass WK) WK)

Über André Lhote

 

 

"Obwohl viele nur für ein paar Monate in diesem legendären, leicht verlotterten Kunstschuppen in einem Hinterhof der Rue d'Odessa gastierten, sah man da kaum einmal eine Studie, die nicht auf Anhieb als ein Produkt der Lhote-Schule zu erkennen gewesen wäre […] Ein geschärftes Gefühl für Rhythmus und Maß, ein differenzierteres Verständnis dessen, was Delacroix »l'organisation des analogies« genannt hat, diese erstaunlich modern anmutende Formel aus der Feder eines »Romantikers« kann durchaus als knappstes und alles umschließendes Kürzel für das dienen, was Lhote seinen Schülern zu vermitteln suchte."

Über Paul Cézanne 

 

"Man hat aus Cézanne eine akademische Angelegenheit gemacht und hat über Kugel, Kegel und Zylinder vergessen, welche Fülle an Wahrnehmung (nicht nur der Augen) im Wabenwerk seiner Bildgeometrie gespeichert ist, was diese vom Mistral gebeutelte Klassik an Lebensstoff in sich aufgenommen hat. Man muss sich erst einmal Hitze und Kälte, Wind und Wetter in seiner Landschaft aussetzen, muss seine Lungen mit den betäubenden Gerüchen der Hügel und der Harzluft der Pinienwälder füllen wie die Ziege des alten Daudet, und man wird begreifen, wie wahr diese Malerei ist, wie konkret und wie unabänderlich verwoben mit diesem Landstrich."

Wilfried Kirschl am Grab Alberto Giacomettis (Foto: Hans Aichberger)
Wilfried Kirschl am Grab Alberto Giacomettis (Foto: Hans Aichberger)

Über Alberto Giacometti

 

 

"Giacometti war bald so etwas wie das künstlerische Gewissen der Zeit. Diese seine Wirkung ist durchaus mit jener zu vergleichen, die Hans von Marées auf die Generation von 1900 und ihre Söhne ausgeübt hat. [...] Eine Kunstpublizistik, die sich nur noch als Chronik der wechselnden Aktualitäten versteht, nimmt von dieser Art von Kunstgeschichte - als Darstellung eines Fortwirkens von Ideen - keine Notiz. Die Ausstrahlung geistiger Figuren gilt ihr als idealistischer Plunder des 19. Jahrhunderts. Eine Gestalt wie Giacometti bezeugt aber, dass solche Wirkung sich wieder herstellt, wenn die Gedanken, für die einer steht, tragfähig sind, und wenn sein existentieller Einsatz glaubwürdig ist. Wir haben es oft erfahren: Wenn im Gespräch unter Künstlern sein Name fällt, erinnern sich die Beteiligten, warum sie eigentlich Maler und Bildhauer geworden sind."

Foto (Polaroid): Nachlass WK
Foto (Polaroid): Nachlass WK

Über Giorgio Morandi

 

"Die Begegnung mit Morandi war der Anfang einer lebenslangen Liebe. Sie war für mich schon deshalb wichtig, weil ich nach der Zeit bei Lhote das Bedürfnis hatte, zu einer Malerei zu kommen, bei der das formale Gerüst wieder tiefer in den Organismus des Bildes eingebettet war, ihn von innen her trug. In Lhotes Schulkubismus lag jeder »Fund« in der obersten Schicht, war Demonstration. Man sah sofort: da hat ein Maler im Rücken einer Frau zwei Dreiecke gesichtet. Goethes Bemerkung, die ich im letzten Akademiejahr in meinen »Marees« geschrieben hatte, Vollkommenheit sei schon da, wenn das Notwendige geleistet werde, Schönheit, wenn das Notwendige geleistet, doch verborgen sei, macht deutlich, worum es mir zu tun war und in welchem Sinne mir das Beispiel Morandis als eines Malers, der das in dieser Zeit verwirklichte, wichtig war."

Wilfried Kirschl: "Sommerabend (Figurenkomposition)", Mischtechnik, 1948/49 (Foto: Philipp Christoph Haas)
Wilfried Kirschl: "Sommerabend (Figurenkomposition)", Mischtechnik, 1948/49 (Foto: Philipp Christoph Haas)

Über die Begabung

 

 

"Die Frage, warum ein Maler gerade diese seine Malerei macht und keine andere, geht von der Annahme aus, er könne es sich aussuchen, es sei seiner Willkür überlassen, was er mache; Begabung sei etwas in sich nicht Determiniertes, das dahin und dorthin gelenkt werden könne. Ich denke, das Gegenteil ist wahr: Die Möglichkeiten, die einer in sich vorfindet, sind nicht nur begrenzt, sie sind auch so oder so gelagert, gerichtet. An ihm liegt es, sie zu erkennen, sie auszutragen und sich möglichst wenig darum zu kümmern, ob das der Zeit gerade in den Kram passt oder nicht."

Wilfried Kirschl: "Stilleben mit Kerze und schwarzem Ei", Öl auf Leinwand, 1987 (Foto: Johannes Plattner)
Wilfried Kirschl: "Stilleben mit Kerze und schwarzem Ei", Öl auf Leinwand, 1987 (Foto: Johannes Plattner)

Über das Stilleben   

 

 

"Das Stilleben nimmt ja unter den Themen der Malerei eine merkwürdige Stellung ein. Da wird mit realen Objekten gemalt, bevor die Hand Stift oder Pinsel berührt. Die Choreografie der Objekte, sei sie einfach oder artistisch kompliziert, hat das erste Wort. Über Farbe und Licht, über räumliche Bezüge oder ihre Negierung wird ebenso vorab entschieden wie über das faszinierende Wechselspiel zwischen den Gegenständen und der Leere zwischen ihnen. Zum Spiel der plastischen Reime, der Organisation der Analogien, kommt jenes der Anspielungen und symbolischen Verweise, die in dieser Kunstgattung seit jeher ihre Rolle gespielt haben."   

Wilfried Kirschl: "Stilleben mit gelber Flasche", Öl auf Leinwand, 1964 (Foto: Johannes Plattner)
Wilfried Kirschl: "Stilleben mit gelber Flasche", Öl auf Leinwand, 1964 (Foto: Johannes Plattner)

Über die Farbe

 

"Die Annäherung an die Monochromie, die vor etwa fünf oder zehn Jahren [Anf. d. 60er Jahre, Anm.] für meine Malweise bestimmend war, bedeutete lediglich den Versuch, das Problem der Farbe sozusagen vom anderen Pol her anzugehen, den größtmöglichen farblichen Reichtum bei äußerst knapp gehaltenem Farbspektrum zu erreichen, sich fast auf eine Farbe zurückzuziehen und trotzdem farbig zu bleiben im eigentlichen malerischen Sinn. Dass in den jüngeren Bildern wieder stärkere farbige Kontraste da sind, ist einfach ein Pendelausschlag in die andere Richtung."

Foto: Wilfried Kirschl (unbekanntes Motiv)
Foto: Wilfried Kirschl (unbekanntes Motiv)

Über den Raum

 

 

"Braque sprach einmal vom taktilen Raum des Stillebens im Gegensatz zum visuellen Raum der Landschaft. Diese Begreifbarkeit der räumlichen Beziehungen, der Körperlichkeit der Objekte, der Leerräume zwischen ihnen stand für mich mit der Begehbarkeit der großen Architekturstilleben, als die ich die Häusergruppen der Kykladendörfer erlebt hatte, durchaus im Einklang."

Wilfried Kirschl: "Insellicht", Öl auf Leinwand, 1989 (Foto: Johannes Plattner)
Wilfried Kirschl: "Insellicht", Öl auf Leinwand, 1989 (Foto: Johannes Plattner)

Über das griechische "Insellicht"

 

 

"Der französische Maler Jean Bazaine hat einmal gesagt, dass es eine innere Ähnlichkeit des Menschen mit der Natur gebe, und er spricht von der »großen Geometrie in seinem Inneren, der er den Zusammenhang mit der Welt verdankt«. Etwas von diesem Erlebnis der Übereinstimmung muss da sein, dass man an einer ganz bestimmten Stelle in der Landschaft stehenbleibt, dass man angerührt ist oder betroffen von einer bestimmten Konstellation der Maße, der Linien, des Lichtes. Ich gehe aber nie mit der Staffelei hinaus, um mir einen Malplatz zu suchen. Die eigentliche Arbeit an dem Bild, die Arbeit vor dem Motiv fängt erst an, wenn meine Vorstellung von dem, was ich an einer bestimmten Stelle malen will, weitgehend geklärt ist. Ich brauche dann aber dieses Zusammentreffen der mehr oder minder abstrakten Bildidee mit der sie »zurechtweisenden« Wirklichkeit, ich brauche das Erlebnis des pulsenden Lichtes und die Wahrnehmung des Raumes. Es ist eine Eigentümlichkeit gerade des griechischen Lichtes, dass es die geringsten Brechungen der Linien, der Flächen und der Tönungen spürbar macht. Die Geometrie fängt an zu atmen."

Foto: Wilfried Kirschl (Nachlas)
Foto: Wilfried Kirschl (Nachlas)

Über Mals

 

 

"Es gibt wenige Plätze, wo ich wie dort das Gefühl habe, auf meinem Boden zu sein. Da gibt es nichts Malerisches, nur einfache, ruhige Baukörper, ein paar Türme, breit hingelagertes Gemäuer zwischen den dunklen Massen der Bäume und den schattigen Gevierten der Anger. Wie das Licht auf diese kalkig grauen, von Wind und Wetter rauh gewordenen Körper trifft, das berührt mich. Es ist nicht das gleißende Spiel von Licht und Schatten wie im Süden, eher ein verdecktes Strahlen, wie durch einen grauen Schleier sickernd. Dieses Form- und Lichterlebnis Mals hat sich mir stark eingeprägt und ist mit den in der Mitte der sechziger Jahre gemalten Stilleben und den dann folgenden Kykladenbildern enger verknüpft als mit irgendetwas anderem im heimatlichen Bereich Gemalten."